Regierungsbildung in Belgien: Reform des Arbeitsrechts und neue Maßnahmen zur Beschäftigungs- und Gehaltsgestaltung
17.02.2025Die Regierungsbildung in Belgien bringt bedeutende Änderungen im Arbeitsrecht mit sich. Der aktuelle Koalitionsvertrag sieht eine Reihe von Reformmaßnahmen vor, die darauf abzielen, den Arbeitsmarkt zu modernisieren. Diese Pläne sind jedoch noch nicht endgültig verabschiedet und müssen erst in Gesetze umgesetzt werden. Es ist daher wichtig zu betonen, dass die beschriebenen Maßnahmen derzeit noch nicht als geltendes Recht anzusehen sind.
Geplante Änderungen im Arbeitsrecht und Gehaltswesen
Arbeitszeitflexibilisierung
Ein neuer Rechtsrahmen soll bis spätestens 30. Juni 2025 eingeführt werden, der die Umwandlung der Arbeitszeit in Jahresarbeitszeit oder Gleitzeit für Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte ermöglicht. Diese Anpassung erfolgt unter Berücksichtigung der Zustimmung der Arbeitnehmer, ohne Kaufkraftverlust und mit der Wahlmöglichkeit zwischen Freizeitausgleich oder Bezahlung. Zudem wird ein System zur Erfassung der Arbeitszeit eingeführt.
Die Pflicht zu einer wöchentlichen Mindestarbeitszeit von mindestens einem Drittel einer Vollzeitstelle soll aufgehoben werden. Arbeitsverträge mit einer Dauer von weniger als drei Stunden sowie Abrufverträge bleiben jedoch weiterhin unzulässig. Die Regelung zur Aufnahme aller anwendbaren Arbeitszeiten in die Arbeitsordnung entfällt, solange die Flexibilitätsgrenzen klar definiert sind. Bestehende Mindestkündigungsfristen bleiben unverändert.
Arbeitszeit im Zug
Die Idee des TéléTRAINvail sieht vor, dass Arbeitsstunden, die während einer Zugfahrt geleistet werden, als reguläre Arbeitszeit anerkannt werden, sofern die Infrastruktur dies ermöglicht.
Änderungen in der Studentenarbeit
Die maximale Arbeits- und Sozialversicherungsgrenze für Studentenarbeit wird dauerhaft auf 650 Stunden pro Jahr angehoben. Das Mindestalter für studentische Beschäftigung wird auf 15 Jahre festgelegt.
Anpassungen im Vertriebs- und E-Commerce-Sektor
Im Vertriebssektor sowie in verwandten Branchen (z.B. E-Commerce) beginnt die Nachtarbeit künftig erst ab Mitternacht statt wie bisher ab 20 Uhr. Arbeitnehmer, die derzeit zwischen 20 und 24 Uhr tätig sind, sollen keinen Kaufkraftverlust erleiden. Zudem sollen Verfahren vereinfacht werden, während bestehende Prämien für Nachtarbeit weiterhin gültig bleiben.
Wiedereinführung der Probezeit
Nach Rücksprache mit den Sozialpartnern soll spätestens bis zum 31. Dezember 2025 die Probezeit wieder eingeführt werden. Innerhalb der ersten sechs Monate eines Arbeitsverhältnisses können beide Parteien den Vertrag mit einer Kündigungsfrist von einer Woche auflösen.
Flexi-Jobs
Die jährliche Einkommensgrenze für Flexi-Jobs wird von 12.000 auf 18.000 Euro angehoben, gegebenenfalls wird der maximale Stundenlohn von 17 auf 21 Euro erhöht. Diese Beträge bleiben indexiert. Das Verbot für Vollzeitbeschäftigte, in verbundenen Unternehmen zu arbeiten, wird aufgehoben. Flexi-Jobs sollen in allen Branchen erlaubt sein, sofern die Regeln für geschützte Berufe eingehalten werden. Zudem bleibt es den Branchen selbst überlassen, durch ein Opt-out-System Flexi-Jobs auszuschließen oder zu regulieren.
Überstundenregelung
Die bisherige befristete Anhebung der steuerbegünstigten Überstunden auf 180 Stunden wird dauerhaft beibehalten. Ein neues Modell für freiwillige Überstunden sieht die Möglichkeit von bis zu 360 Überstunden ohne Ausgleichsruhezeit vor, wovon 240 Stunden ohne Überstundenzuschlag geleistet werden können. Im Hotel- und Gaststättengewerbe wird diese Grenze auf 450 Stunden erhöht.
Gehalts- und Steuerreformen
- Beibehaltung der automatischen Gehaltsindexierung
- Erhöhung des garantierten durchschnittlichen monatlichen Mindesteinkommens zum 1. April 2026 ohne zusätzliche Kosten für Arbeitgeber
- Senkung des vom Arbeitnehmer zu zahlenden Sonderbeitrags zur Sozialversicherung
- Erhöhung des steuerfreien Anteils für Arbeitnehmer mit Gehältern unter dem Medianlohn zur Unterstützung der Kaufkraft
- Verstärkung der Essensgutscheine durch Erweiterung der Nutzungsmöglichkeiten und Erhöhung des steuerlich absetzbaren Arbeitgeberbeitrags
- Abschaffung der steuerlichen Vorteile für Ökoschecks und Sport-/Kulturschecks
- Erweiterung des Mobilitätsbudgets für alle Arbeitnehmer mit einem attraktiven Sozial- und Steuersystem
- Verlängerung der Übergangszeit zu einer CO2-neutralen Firmenfahrzeugflotte durch eine Reform der steuerlichen Absetzbarkeit von Hybridfahrzeugen
- Vereinfachung kollektiver Bonussysteme
- Begrenzung des flexiblen Vergütungssystems auf maximal 20 % des Bruttogehalts
Beschäftigungsbeihilfen und Steuererleichterungen
- Erhöhung des steuerlichen Beschäftigungsbonus für Arbeitnehmer mit niedrigem Einkommen
- Reform der Senkung der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung für Erstanstellungen
Änderungen im Krankheitsmanagement und Wiedereingliederung
- Reduzierung auf 2 x 1 Krankheitstag pro Jahr ohne ärztliches Attest (statt derzeit 3 Tage)
- Verlängerung der Rückfallfrist auf 8 Wochen (statt 14 Tage)
- Einführung eines elektronischen Arbeitsfähigkeitszeugnisses („Fit Note“) mit Anpassungsempfehlungen durch den behandelnden Arzt
- Neuer Arbeitgeberbeitrag für große Unternehmen für den 2. und 3. Krankheitsmonat bei Arbeitnehmern im Alter von 18 bis 54 Jahren (30% des Krankengeldes)
- Möglichkeit zur frühzeitigen Wiedereingliederung bereits ab dem ersten Krankheitstag oder sogar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit mit Zustimmung des Arbeitnehmers
- Erweiterung des Rahmens für Wiedereingliederungsprozesse zur Ermöglichung eines Wechsels zu einem anderen Arbeitgeber
- Pflichten für Präventionsberater/Arbeitsmediziner, um nach einem Monat Krankheit Maßnahmen zu ergreifen
- Verpflichtung des Arbeitgebers, das Arbeitspotenzial eines langzeiterkrankten Arbeitnehmers nach 8 Wochen zu bewerten
- Sanktionen für Arbeitnehmer, die nicht kooperieren, wenn es um ihre Wiedereingliederung geht
Fazit
Die geplanten Reformen im belgischen Arbeitsrecht und Gehaltswesen stellen eine tiefgreifende Veränderung dar. Sie sollen mehr Flexibilität für Arbeitnehmer und Arbeitgeber schaffen, die Kaufkraft der Beschäftigten stärken und den Arbeitsmarkt modernisieren. Dennoch bleibt abzuwarten, wie diese Vorschläge konkret umgesetzt werden. Bis zur endgültigen Gesetzgebung gilt es, die weiteren Entwicklungen genau zu beobachten.